Adelheid Popp
oder: was die Jugendgeschichte einer Arbeiterin mit uns zu hat
Adelheid Popp (1869-1939) war eine der führenden sozialdemokratischen Politikerinnen der Ersten Republik. Sie arbeitete aktiv in der sozialdemokratischen Partei, hielt Vorträge, war 1892 Mitbegründerin und erste Chefredakteurin der Arbeiterinnen-Zeitung, gründete 1902 den Verein sozialdemokratischer Frauen und Mädchen, wurde 1918 in den Parteivorstand gewählt, dem sie bis 1933 angehörte, war von 1919 bis 1920 Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien, von 1920 bis 1923 Abgeordnete zum Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien. Von 1919 bis 1934 war sie Abgeordnete zum Nationalrat und war auch die erste Frau, die eine Rede im Nationalrat gehalten hat.
Ihr besonderer Einsatz galt dem Kampf um das Wahlrecht, die Frauenrechte, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um den 8-Stunden-Tag und die Rechte von Heimarbeiterinnen und Dienstmädchen.
Bereits 1933 musste sie aus gesundheitlichen Gründen alle Funktionen in der Partei zurücklegen. Nur weil sie im Februar 1934, während des Aufstandes des Republikanischen Schutzbundes, im Krankenhaus war, konnte sie der Verhaftung entgehen. Danach lebte sie zurückgezogen in Wien und starb 1939.
Die von ihr in den Jahren 1907/1908 verfassten Jugenderinnerungen hatte sie auf Anregung des Sozialdemokraten Adolf Braun niedergeschrieben, um zu zeigen, dass eine Veränderung und ein Aufstieg aus eigener Kraft möglich ist und um anderen “Mut und Zuversicht” zu geben. In diesem Zusammenhang hat sie bereits damals auf die wesentliche Rolle der Bildung hingewiesen.
1869 in Wien-Inzersdorf als Kind einer Arbeiterfamilie geboren, war ihre Kindheit durch schlechte Wohnverhältnisse, mangelnde Schulbildung (nach nur drei Jahren wurde sie von ihrer Muter abgemeldet), materielle Sorgen und einem frühzeitigem Eintritt in das Berufsleben geprägt. Bereits mit 10 Jahren musste sie nach dem Tod des Vaters in den verschiedensten Berufen Geld zu verdienen und lernte frühzeitig die schlechten Arbeitsbedingungen sowohl bei der Heimarbeit als auch in der Fabrik kennen. Dazu kamen die Rollenklischees, mit denen Frauen – nicht nur damals- zu kämpfen hatten. Und trotzdem hat sie es geschafft, sich weiterzuentwickeln, ihre Lebenssituation entscheiden zu verändern. Damit wurde sie zum Vorbild für viele andere.
Die Jugenderinnerungen sind tatsächlich zu einem Schlüsselwerk der sozialdemokratischen Frauenbewegung geworden. Erstmals 1909 erschienen wurden sie in 10 Sprachen übersetzt und sind bis heute in vielen Auflagen erschienen.
Der Picus-Verlag hat sie jetzt in neuer, historisch und politisch kommentierter Ausgabe mit Essays von Sibylle Hamann und Katharina Prager herausgebracht.
Katharina Prager zeichnet im Beitrag “Adelheid Popps (fest-)geschriebenes Leben” auf der Grundlage einer fundierten Recherche den familiären Hintergrund und historischen Kontext nach.
Sybille Hamann stellt in ihren Beiträgen “Eine muss immer die Erste sein” und “Adelheid Popp und wir” Verbindungen zwischen den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen damals und heute her. Während damals der Wandel vom Handwerk zur maschinellen Fertigung erfolgte und Heimarbeit schlecht bezahlt unter katastrophalen Umständen geleistet wurde, ist unsere Zeit geprägt durch Rationalisierungen, Auslagerung von Teilen der Produktion, weltweiten Konkurrenzkampf, geringe Löhne (Stichwort “working poor”), wachsenden Arbeitsdruck und schlechte Arbeitsbedingungen der selbständigen “Ein-Personen-Unternehmen”. Die rechtliche Gleichstellung der Frauen konnte in der 2. Republik zwar weitgehend erreicht werden, jedoch gibt es noch immer keinen gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie lastet immer noch auf den Schultern der Frauen.
Die Frauenband “Schneewittchen” hat einmal in einem ihrer Lieder gesungen: wenn wir wissen, was die Frauen taten, wissen wir, was wir tun”. In diesem Sinne sind die Jugenderinnerungen und die Essays doppelt von Bedeutung und immer noch und immer wieder lesenswert.
Adelheid Popp. Jugend einer Arbeiterin. Hg. Von Sybille Hamann. Mit Essays von Katharina Prager und Sybille Hamann. Picus-Verlag Wien, 2019