Ilse Pisk
Fotografin in der Zwischenkriegszeit
Als das Jüdische Museum Wien im Herbst 2012 die Ausstellung “Vienna´s Shooting Girls” eröffnete, wurde damit den Fotografinnen im Wien der Zwischenkriegszeit ein Denkmal gesetzt. Viele von ihnen wurden durch eine jahrelange, akribische Recherche der Kuratorinnen der Ausstellung, Iris Meder und Andrea Winklbauer, auch erst wiederentdeckt. Während berühmte Namen wie Madame d´Ora (Dora Kallmus), Trude Fleischmann, Friedl Dicker oder Edith Tudor-Hart dem an Fotografie interessierten Publikum noch ein Begriff sind, waren viele der in Wien tätigen Fotografinnen weitgehend vergessen und blieben in der Fotografiegeschichte unberücksichtigt.
Ein Grund dafür war, dass die Mehrheit der Fotografinnen jüdischer Herkunft war, was bedeutete, dass sie spätestens mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich entweder vertrieben wurden und das Land verlassen mussten oder verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Beides führte dazu, dass sie, ihre Arbeit, ihre Leistungen und ihre Bedeutung für das kulturelle Leben Wiens in Vergessenheit gerieten.
Dazu kam, dass ab 1900 für Frauen eine höhere Schulbildung und eine Berufsausbildung zunehmend wichtiger wurde. Besonders Familien aus dem jüdischen Bürgertum förderten die höhere Schulbildung der Töchter. Zu dieser Zeit, ab dem Jahr 1908 wurden in der 1888 eröffneten k.k. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren (später: Graphische Lehr- und Versuchsanstalt) in Wien die Fotografiekurse auch für Frauen geöffnet.
In ihrem Beitrag “Neue Berufswege für die weibliche Jugend – Die Photographin” zum Katalog zur Ausstellung “Vienna´s Shooting Girls” schreiben Iris Meder und Andrea Winklbauer, dass die Fotografie als damals noch wenig etabliertes Medium Frauen generell ein weites Feld an Arbeitsmöglichkeiten bot, als Fotografin, aber auch in der Entwicklung der wissenschaftlichen Fotografie. (Vienna´s Shooting Girls, Jüdische Fotografinnen aus Wien, S. 11 ff. Metroverlag, Wien 2012). Frauen waren vor allem als Porträt-, Mode- und Theaterfotografinnen tätig. In der Porträt- und Modefotografie waren sie durch ihre höchst professionelle Arbeit führend und gehörten auch international zu den Besten dieser Zeit. Im Bereich der Wissenschaft wurde durch Marietta Blau (1884-1970) eine fotografische Methode zum Nachweis von Kernspaltung entwickelt; Eugenie Goldsterns (1883-1942) fotografischen Arbeiten waren eine Pionierleistung im Bereich der Ethnographie.
In der 1. Republik waren 80 % der im Bereich der Porträtfotografie in Wien Tätigen Frauen, von denen der überwiegende Anteil aus liberalen jüdischen Familien kam. Diese Fotografinnen, die vielfach auch Besitzerinnen von eigenen Fotostudios waren, dokumentierten und prägten mit ihren Fotos das kulturelle Leben dieser Zeit. Ihre Fotos erschienen in den wichtigen nationalen Zeitschriften wie Die Bühne, Moderne Welt, Wiener Illustrierte, Wiener Magazin, und in internationalen Zeitschriften.
Eine jener Fotografinnen, die in der Zwischenkriegszeit in Wien sehr erfolgreich waren, aber weitgehend in Vergessenheit geraten sind, war Ilse Pisk. Ilse Pisk wurde 1892 (nach anderen Quellen 1898) in Mistek in Mähren geboren. Ab 1918 machte sie eine Ausbildung als Fotografin bei dem Fotografen Hermann Schieberth, 1923 erwarb sie den Gewerbeschein und damit die Berechtigung, gewerbsmäßig als Fotografin zu arbeiten. Sie arbeitete zuerst im 3. und im 19. Bezirk, ab Februar 1930 führte sie ein eigenes Atelier im 6. Wiener Gemeindebezirk, Linke Wienzeile 48-52, 3. Stiege.
In den 1930er Jahren war das Atelier von Ilse Pisk eines der bedeutendsten Fotostudios Wiens. In den frühen 1930er Jahren führte sie es zuerst gemeinsam mit Anni Schulz, danach war es unter dem Namen Foto-Studio Norbert Kraus & Ilse Pisk bekannt, später als „Ilsebild“. Ab dem Jahr 1936 führte sie das Unternehmen gemeinsam mit der Fotografin Hedwig Rosenbaum (1908-1994) unter den Namen “Pisk & Rosenbaum”.
In den 1930er Jahren war Ilse Pisk eine der bedeutendsten Fotografinnen Wiens. Sie veröffentlichte ihre Arbeiten in verschiedenen Zeitschriften, wie “Die Bühne”, oder “Wiener Magazin”. Durch diese Zeitschriften wurden zumindest einige ihrer Fotografien für die Nachwelt bewahrt. Ein Foto, das Ilse Pisk selbst darstellt, habe ich nicht gefunden.
Die Verfolgung durch die Nationalsozialisten nach dem Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland war massiv. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erfolgte bereits im November 1938 die gewerbebehördliche Löschung ihres Ateliers. Sie musste ihre Wohnung verlassen und wurde bis zu ihrer Deportation in einer Sammelwohnung in Wien untergebracht. Im Jahr 1942 wurde ihr Vermögen eingezogen und Ilse Pisk, Häftlingsnummer 1000, mit dem Transport Nr. 20 in das Transit-Ghetto Izbica deportiert, wo sie gestorben ist. Hedwig Rosenbaum, die 1938 Paul Perles geheiratet hatte, gelang gemeinsam mit ihrem Mann die Flucht über England in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo sie weiter als Retuscheurin und Kinderfotografin arbeitete.
Am 8. Juni 2021 hat der Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft die Stiegenanlage in der Capistrangasse im 6. Wiener Gemeindebezirk “Ilse-Pisk-Stiege” benannt. Bis heute fehlt allerdings jeglicher Hinweis darauf: die Stiege ist weder im offiziellen Stadtplan entsprechend benannt, noch wurde bei der Stiegenanlage ein entsprechendes Schild angebracht. Sobald ich in Erfahrung gebracht habe, wann dies erfolgen wird, werde ich dies den LeserInnen zur Kenntnis bringen.